Rap mit Selbstironie

Nils Bokelberg

Deutschrap hatte in der öffentlichen Wahrnehmung in letzter Zeit ein wenig zu leiden und das vermutlich nicht ganz zu Unrecht. Aber Rap ist ja zum Glück nicht nur Battle, sondern so vielseitig, wie die Berufsideen von Mallorca Jens.

Deswegen heute, an dieser Stelle, mal eine kleine und aktuelle Kollektion von

"Rap mit Selbstironie“.

Man muss sich selbst nämlich vor allem immer nicht so schrecklich wichtig nehmen. Das werden auch Battlerapper eines Tages einsehen. Ganz bestimmt.

 

 

MARSIMOTO - Verde

 

Marterias Alter Kiffo ist wieder zurück: Mit gewohnt hochgepitchter Stimme und runtergepitchtem Boom-Bass, ist er auf seinem mittlerweile fünften Album wieder da, um nicht nur Weed in all seinen Darreichungsformen zu feiern, sondern auch, um mal wieder seinen ganz speziellen Marsimoto-Vibe unters Volk zu bringen. Nicht nur was den Zustand betrifft, sondern auch thematisch ist der wieder breit aufgestellt: Klar geht es um die elementaren Fragen des Lebens, die man sich nur stellt, wenn man ordentlich Ganja eingeatmet hat. Aber er hat auch eine Ode an seine GoPro, seine Lieblingskamera, geschrieben, die ihn auf all seinen Reisen begleitet. Oder ein Lied wie „Chicken Terror“, mit dem er die Revolution der Hühner ausruft und ja, Hühner ist in diesem Zusammenhang wörtlich gemeint und der Song eine Kampfansage gegen Massentierhaltung und Tierleid. Das war und ist ja auch immer noch das geile an Marsimoto: Der scheint zu rappen, worauf er gerade Bock hat. Die Themen liegen überall rum - vermutlich muss man dafür nicht mal von der Couch aufstehen, sondern guckt sich nach einem tiefen Zug aus der Bong um und erzählt dann, was er sieht und sich dabei denkt. Das Schönste ist aber nach wie vor: Man muss gar nicht selber breit sein, um das genießen zu können. Im Gegenteil. Vermutlich macht die Platte nüchtern viel mehr Spaß als in jedem anderen Zustand. Denn Marsimoto schafft es dahin zu gehen, wo geniale Ideen und harter Mega-Nonsens ganz eng beieinander liegen und wählt zielsicher immer die Gedanken, die gerade angebracht sind. Er kifft für uns und gibt uns das, was daran toll ist zurück. Eigentlich Win-Win für alle. Und in diesem speziellen Fall sogar für die Hühn

Die Beats sind gewohnt lässig und haben immer diese überraschende Komponente, genauso Club- wie Auto- wie Kopfhörer-geeignet zu sein. Dafür sorgt auch wieder die Creme de la Creme der deutschen Hip-Hop-Produzenten Szene, wie Kid Simius, The Krauts und viele andere. Außerdem Features von zum Beispiel Trettmann, Audio88 oder Casper. Musikalisch ist „Verde“ also auch absolut ungestrecktes, sortenreines Dope. Wer Marteria mochte, aber mit Marsimoto nie so viel anfangen konnte, der kann nun vielleicht endlich ankommen. Denn nie war ein Album von Marterias Ersatz-Identität stimmiger und schlüssiger als dieses. Ein breiter Rapper trinkt halt auch mal nen Korn. Oder so.

 

 

                                                                                                                                  

 

Noch mehr Marsimoto

 

 

Die Fantastischen Vier - Captain Fantastic

 

 

Was tun, wenn man schon alles getan hat? Die fantastischen Vier hätten alle Optionen offen: Nur noch Solo-Platten machen, ganz mit der Musik aufhören, vielleicht nur noch als DJs durchs Land ziehen oder sich ganz auf dem Ruhm vergangener Tage ausruhen, hier und da mal eine Best of veröffentlichen, Festivals spielen und vielleicht noch vereinzelt Live-Platten rausbringen. So machen es viele alte Bands und die meisten von denen fahren nicht unbedingt schlecht damit. Aber die Fantas könnten das gar nicht. Die machen Musik, weil sie merken, dass sie müssen. Weil sie schon so aufeinander eingespielt sind, dass sie sich inspirieren, wenn sie zusammen sind. Wie lange man rappen kann? So lange man will, vermutlich. So hat es auch Michi Beck im Songpoeten-Podcast vor einem Jahr erzählt, als die Band mitten in der Vorbereitung zum neuesten Album steckte.

Man trifft sich, man guckt, wie man miteinander auskommt und ob man noch Ideen hat und am Ende hat man auf einmal doch wieder ein Album zusammen. Dabei ist die Bambule, die um „Captain Fantastic“ gemacht wurde, bevor das Album überhaupt erhältlich war, schon einzigartig: In der Vorabsingle „Endzeitstimmung“ (übrigens mit herrlichem Buddy Miles „Them Changes“-Sample) bezieht die Band klar Stellung und zeigt dem modernen Rechtspopulismus und dem ganzen Hass, der die Köpfe der Menschen gerade weltweit zu vergiften scheint, das einzig richtige Körperteil: nämlich den Mittelfinger. Mit der Single „Tunnel“ hat die Band noch eine ganz andere Hitparade erobert: Das Video konnte man mit einer VR-App im eigenen Wohnzimmer stattfinden und die Band so virtuell einen Tunnel in den eigenen Boden bohren lassen, während sie diese zweite Vorab-Single performte und sich dabei von allen Seiten zusehen ließ.

           

Die freie App schoss blitzschnell an die Spitze der App-Download-Charts. Kann auch nicht jede Band von sich behaupten. Und als letzter Vorbote zu „Captain Fantastic“ gab es das Video zu „Zusammen“, dem Song mit Clueso. Im ausführlichen Video flippt die Band in bester Stomberg-Manier aus, dass man ihr diesen Jungspund nun zur Seite stellen will und sabotiert Clueso, wo es nur geht. Wieder einmal beweisen die Fantastischen Vier, dass sie so sympathisch einen an der Waffel haben, dass man sie einfach lieben muss. Und dass man nicht zwangsläufig Straße sein muss, um ein Stück Rapgeschichte zu sein. „Captain Fantastic“ schreibt diese Geschichte nun weiter. Eines scheint sicher: Beim nächsten Treffen fällt ihnen wieder mehr als genug für ein neues Album ein.    

       

                                                                                                                

 

   

 

 

 

 

 

 

Icke und Er - Greatest Hits - The Sky ist der Himmel

 

 

Das ist vielleicht die verwirrendste aufgelöste Band, die es noch gibt. Also, vielleicht. Icke und Er, Spandauer Rapper, wurden über Nacht zu Stars mit ihrem Hit „Richtig Geil“. Blieben aber immer versteckt hinter Sonnenbrillen und Perücken, die anscheinend Helge Schneider irgendwann mal ausgemustert hat. Bis heute weiß niemand, wer hinter dem Projekt steckt. Das tat ihren Platten aber keinen Abbruch: Die Songs und Lyrics poltern über ungewöhnliche Beats, die zusammengesampled wirken aus Hip-Hop-Beats, weirden Samples und James Last Platten. Nach dem Hit kam das erste Album und dann eine erste Tour, die auch gleichzeitig die Abschiedstournee war.

Was andere also als Startpunkt einer Karriere genutzt hätten, war für Icke und Er schon gleich das Ende. Nach ein paar Jahren Ruhe kam dann mit „L.I.B.E.“ ihr sogenanntes „Nicht-Comeback-Album“ mit liegengebliebenen Songs. Also, waren sie jetzt wieder da? Irgendwie nicht. Es gab gelegentliche Auftritte bei Freunden der Band, aber das wars auch. Zum zehnjährigen Jubiläum des ersten Albums gaben Icke und Er in der Berliner Columbiahalle das „letzte Jubiläumskonzert aller Zeiten“. Zeitgleich dazu wurde noch ihr Best of-Album „Greatest Hits - The Sky ist der Himmel“ veröffentlicht. Nach 12 Jahren und eineinhalb Alben ein „Best of“ rauszubringen: Das können nur Icke und Er.

Und nur die lässt man damit davon kommen, vor allem wenn es so einen Spaß macht, sich den ganzen Quatsch auch noch anzuhören. Wie schön, dass diese Platte zwei Jahre nach ihrem ersten Release noch mal in limitierter Auflage erscheint. Schnell zuschlagen, bevor sie in ungefähr nochmal fünf Jahren mit neuer Tracklist als „Das wirklich beste von“ oder so ähnlich veröffentlicht wird. Und ohne Scheiß: Ich würd sie sofort wieder kaufen. Ist nämlich Rischtisch Jeil. 

 

 

 

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