Lauryn Hill

Lauryn Hill

Frank Berzbach

»It's funny how money change a situation«, jeder Hiphop-Liebhaber kennt diese ersten Zeilen. Mit ihnen hebt ein Album an, welches bis heute an Frische und Energie nichts verloren hat. Der Albumtitel zitiert ein Buch von Carter Woodson: The Miseducation of a Negro. Er fordert Schwarze im Jahr 1933 dazu auf, das Lernen selbst in die Hand zu nehmen und sich nicht allein der Indoktrination durch das Schulsystems auszusetzen. Woodson gilt als Vater der black history, und wahrscheinlich inspirierte das Buch Lauryn Hill dazu, die Geschichte des Hiphop umzuschreiben.

Um den stand es Mitte der 1990er schlecht. Der Hype um die aufsteigenden N.W.A.-Stars der East Coast und deren Nachfolger erzeugte plötzlich unnötigen Regionalpatriotismus. Wie ein halbes Jahrhundert vorher plötzlich der East Coast Jazz dem der West Coast entgegengehalten wurde, unterschieden sich plötzlich die Rapper aus L.A. von denen aus New York. Aber worin eigentlich? Als hätten die musikalisch hochtalentierten Autodidakten plötzlich vergessen, dass der Anlass ihrer Protestmusik – ihre ernstzunehmende »Attitude« – der Unterschied zwischen Oben und Unten und der zwischen Schwarzen und Weißen war. Wer in den unterprivilegierten Vierteln aufwuchs, der war umgeben von Gewalt, Gangs und Drogenhandel. Die USA waren formell zwar kein Apartheitsregime mehr, aber der Alltagsrassismus war in den 1990ern (und er ist es bis heute) allgegenwärtig. Der infantile Zickenterror zwischen den schwarzen Stars gipfelte schließlich im Mord am charismatischen Rapper Tupac Shakur. Danach brach das Kartenhaus selbst erfundener Unterschiede zusammen, die Luft schien raus. Einige Rap-Stars hatten sich genau in das verwandelt, was die weißen Rassisten generell in den Schwarzen sahen: Korrupte, kriminelle Zuhältertypen, die man aus den sauberen Vierteln, der Politik und den Chefetagen fern halten musste. Der Hiphop war ein später Soundtrack der Bürgerrechtsbewegung, aber die Gewalttaten und die Vulgärrhethorik mancher Rapper machten es reaktionären Weißen leicht ihn als große Gefahr für die amerikanische Kultur darzustellen. Hiphop war per se unmoralisch. 

Im Jahr von Tupacs Tod, 1996, erschien The Score von den Fugees, ebenfalls ein Klassiker und ihre Frontfrau Lauryn Hill wurde nicht nur weltbekannt, sondern sie legte zwei Jahre später mit The Miseducation of Lauryn Hill das erste weibliche Hiphop-Album nach, das Grammys gewann. Sie war plötzlich das Gegenmodell zu den verkommenen Außenseitern einer Gangster-Szene, die immer eine Minderheit darstellten. Eine sympathische Frau, die nicht in sexistischen Posen zu sehen war, Lauryn Hill war nie eine »bitch«, sie hausierte nicht mit Nacktheit. Sie machte umwerfenden Hiphop, der konsensfähig war und zugleich nie langweilig. Sie war nicht weniger meinungsstark als ihre männlichen mit Waffen kokettierenden Kollegen, aber ihre Kraft resultierte aus ihrer charmanten Aggressionslosigkeit. Die Mutter von sechs Kindern legte nicht nur eins der besten Alben der 1990er-Jahre vor, sondern ihr Erfolg reinigte den Hiphop von absonderlichen Entwicklungen. Es ging um einen neuen, menschlichen Stil des Hiphop, um die Rechte der Schwarzen, Frauen, Benachteiligten. Und um gut gemachte Kunst. 

Anstatt in teure Autos, Drogen, protzige Villen und Schusswaffen zu investieren gründete Hill eine Stiftung für Straßenkinder, war vorbildliche Mutter und fungierte als neue Integrationsfigur. Selbst ein kurzer Gefängnisaufenthalt wegen Steuerproblemen hat daran grundsätzlich nichts geändert. Außer zwei Alben, die als Meisterwerke gelten, gibt es keine großen Ereignisse im Kunstschaffen der Lauryn Hill. Keine Skandale oder endlose Touren, keine schlechten Alben oder Beschimpfungen von Kolleginnen. 2002 setzt sie sich mit akustischer Gitarre vor die Mikrophone von MTV Unplugged, nimmt ein sperriges und eigenartiges Album auf. Sie fragt sich und das Publikum selbst, was das sein soll: »a hiphop-folk-singer«? Aber an Erwartungen hat sich Lauryn Hill nie gestört. Weder in den rauen Zeiten des Hiphop, in denen sich die Aggressionen überboten, noch im Rahmen eines Come-back, das die Vergangenheit zurückholen will. Durch ihr Unplugged Album erfährt man vieles über die Sängerin, über ihr Denken und ihr Engagement. Es ist, gemessen an den energetischen Klängen der beiden Meisteralben sperrig, anders, aber dennoch keine echte Neuerfindung. Am Ende ihrer Karriere, wenn es dann das Ende schon sein sollte, erzählt sie mit Gitarre vor kleinem Publikum, was sie die letzten Jahre bewegt hat. Lauryn Hill ist noch zu jung, um ihre Miseducation als abgeschlossen zu betrachten. Wie die einige Jahre ältere schwedische Hiphop-Sängerin Neneh Cherry, die nach ganz wenigen Alben seit 1989 nun mit Broken Politics ihr Opus Magnum vorgelegt hat, könnte auch die Zukunft von Lauryn Hill anders verlaufen, als es zur Zeit scheint. Auch Beyoncé oder Alicia Keys – beide Verehrerinnen von Lauryn Hill – scheinen immer reifer und musikalisch immer besser zu werden. Vielleicht – und das wäre ein Glück für Musikfans – wird sie irgendwann zur großen alten Dame des Hiphop, neben Missy Eliot und einigen anderen. Ihr Unplugged Album zeigt, dass Gattungsbezeichnung nicht angebracht sind. Vielleicht nennen wir ihre Musik, wie Miles Davis es für den Jazz vorschlug, einfach Social Music. Ihr erstes, immer noch hell strahlendes Soloalbum, dass vor 20 Jahren erschien, präsentiert diese Social Music auf höchstem Niveau! 

Musik lesen ...

Um die ganze Kraft von Lauryn Hill zu verstehen muss man erkennen, wie sich ihre beiden Alben in die Geschichte einlagern. Hip Hop Raised Me von DJ Semtex, nun auf Deutsch erschienen in der Edition Olms Zürich, ist eine unerschöpfliche Quelle für Musikfans. Chronologisch, ausgestatten mit hervorragenden Bildern und Illustrationen, unterbrochen von Infografiken, Kommentaren und Exkursen, dokumentiert das Standardwerk die Geschichte des Hip Hop von den späten 1970er-Jahren bis heute. Von frühen Flyern über die klassischen Alben, Presseauszüge und Starportraits, intime Annährungen und einem Vorwort von Chuck D (Public Enemy) bietet der Band endlose Inspiration. Auch Lauryn Hill begegnet man auf zahllosen Seiten immer wieder; nicht zuletzt mit dem ganzseitigen Abdruck eines Fotos von Eric Johnson, dass sie an einer der Schultafel stehend zeigt. Nicht zu übersehen ist der Unterschied ihrer Ikonographie im Vergleich zu Hiphop-Artists von Foxy Brown bis Nicki Minaj. 

 

Ganz außergewöhnlich im Zugriff ist ein Essay über Hiphop vom amerikanischen Literaturgenie David Foster Wallace, der zusammen mit Mark Costello einen längeren Essay geschrieben hat mit dem alles sagenden Titel: Warum Rap, den Sie hassen, nicht Ihren Vorstellungen entspricht, sondern scheißinteressant ist und wenn anstößig, dann bei dem, was heute so abgeht, von nützlicher Anstößigkeit. (Erschienen 2014, im Kölner Kiwi-Verlag, wie sehr viele herausragende Musikbücher).

 

 

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The Miseduation of Lauryn Hill – ein Klassiker feiert 20. Jubiläum! Das Album der ehemaligen Fugees-Frontfrau wurde 8-fach mit Platin ausgezeichnet. Singles wie "Doo Wop (That Thing)" oder "Everything Is Everything" machten sie zum Superstar und belohnten sie mit zehn GRAMMY-Nominierungen. Letztlich gewann sie 1999 fünf der begehrten Awards, u.a. in der Kategorie "Beste neue Künstlerin" sowie "Album des Jahres", welche sie als erste weibliche Hip-Hop-Künstlerin überhaupt für sich entschied. Heute gehört die Platte zu den Hiphop-Meilensteinen, die einen Platz in jeder gut sortierten Vinyl-Sammlung verdient

 

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