Beyoncé »LEMONADE«
»Dass die Dame aus Texas mit ihrem letzten Werk ein Konzeptalbum vorlegt, das in die Geschichte des Pop eingeht, hat wohl kaum einer erwartet.«
AUF DER SUCHE
NACH DEM VERLORENEN ZEITGEIST
Beyoncé Giselle Knowles-Carter hat mich nie sonderlich beeindruckt. Sie war für mich einfach eine wunderschöne Frau, die akzeptable Popmusik macht. Ich mag zwar eins ihrer alten Alben, aber großes Interesse hatte ich für die Sängerin bisher nicht. Aber nun ist ihr letztes Album endlich auch auf Vinyl erschienen, erstaunlich, dass es länger gedauert hat. Dabei singt sie selbst davon in Daddy Lessons:
»We rode motorcycles, blackjack, classic vinyl,
tough girl is what I had to be.«
Dass die Dame aus Texas nun ein Konzeptalbum vorlegt, das in die Geschichte des Pop eingeht, hat wohl kaum einer erwartet.
Wenn so das »Alterswerk« dieser Göttin des Pop beginnt, können wir uns auf die Zukunft freuen. Das neue Album vereint so viel, ist so durchkomponiert und changiert so elegant zwischen Stilen und Themen, ohne dabei verkopft zu wirken, dass mir schon beim zweiten Durchhören die Schauer über den Rücken liefen.
»Lemonade« ist zudem ein Musikfilm, der viel mehr ist als eine Aneinanderreihung der Clips einzelner Songs. Der Film wäre eine gesonderte Besprechung wert: Er ist in Passagen von den Kamerafahrten von David Lynch beeinflusst, von Stilmitteln, die Spike Lee in seinen Filmen nutzt, von den Kunstfilmprojekten eines Matthew Barney – er ist zugleich ein Schaulauf herausragender Kostüme, politisches Statement (mit starken sozial-dokumentarischen Sequenzen), Tanzperformance, Provokation und nicht zuletzt die Schönheit der Frauen feiernde Romantik. Der Film bewegt sich zwischen schwarz-weiß, Handkamera und HD, Tricktechniken, die einen ergreifen, und den erotischen Anteilen, die Bilder haben, wenn Beyoncé auftaucht.
Hört man das Album durch, erlebt man eine komplex vernetzte Geschichte zwischen Treue, Liebe, Untreue, Krise und Kampf, zwischen Verzeihen, Versöhnung und politisch-weiblichem Selbstbewusstsein. Das Paar Jay-Z und Beyoncé wird daran gemeinsam gearbeitet haben, weil es gemeinsame Erfahrungen hat – die beschäftigen zwar die skandalverliebte Öffentlichkeit, aber das Paar trägt sie nicht öffentlich aus. Es verwandelt sie einfach in gute Musik.
Egal, was geschieht:
»MAKE GOOD ART«
das Motto von Neil Gaiman haben die beiden sich zu Herzen genommen.
Jedenfalls liegt dem Konzeptalbum eine Erfahrung zu Grunde, die ihm große Kraft verleiht. Jay-Z war immer schon Meister musikalischer Aneignung – black album & blueprints – und Beyoncé Meisterin kooperativer Teamarbeit. Wenn sie nun ihre Geschichte einspannt zwischen der Bluesrockkraft von Jack White und dem energetischen Trap von Kendrick Lamar, dann vermisst die Sängerin die popmusikalische Gegenwart – und ihre Stimme, ihr eigener Klang verschwindet doch nicht hinter den treibenden Hammondorgeln oder der Hektik politischer Trapklänge; wir hören ruhige Klavierpassagen, wir hören Swing und reisen zwischen den Urzeiten der schwarzen Musik bis hinter die Postmoderne.
Das ist mit den charismatischen Männern, die auf diesem Album auftauchen, Eifersucht erzeugen dürfte, bietet subtilen Rachegenuss. Wie das in so spielerischer Weise gelingen kann, zugleich tanzbar und ergreifend, dass wird alle überraschen, für die Beyoncé vor nur eine unwiderstehliche Frau ist. Das bleibt sie, aber die Leistung dieses Konzeptalbums ist so mehr als reine Schönheit. Die erzählte und erlittene Passion kulminiert in einem O-Ton einer alten, schwarzen Frau, die ihre Großmutter sein könnte (oder sogar ist):
»When life gives you lemons,
make lemonade«
die Sequenz im Film, die dokumentarisch die alte Frau vor dem Mikro zeigt, treibt einem Tränen in die Augen. Es gibt nicht viele Alben, die so durchhörbar, vernetzt, vielseitig und ergreifend sind. Wer dachte, Beyoncé produziere nur leichten Pop, sollte nach einem Rockstück der letzten Jahre suchen, dass sich mit »Don’t hurt yourself« messen könnte. Beyoncé stellt sich quasi bei DEAD WEATHER ans Mikro, und das wird andere erblassen lassen vor Neid.
Dass ein Album politisch sein kann, Liebesleid erzählt und wieder ins positive wendet, Werte psychologisch und gesellschaftlich vertreten kann, ohne plakativ zu fordern und zudem musikalisch die Gegenwart des Pop in sich fassen kann – das ist mit »Lemonade« bewiesen. Das Kunstfilm und Popmusik eins sein können, ebenfalls. Beyoncé hat sich auf die Suche nach dem verlorenen Zeitgeist des Pop begeben, der nur noch Retromania kannte. Und das wunderbare ist: sie hat ihn nicht nur gefunden, sondern ihn in Klänge und Bilder verwandelt. Nun lässt sich das alles auf endlich als Schallplatte genießen, in einer Edition mit gelbem Vinyl.
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