Entflochtene Zöpfe
Auf dem Cover ihres ersten Albums trägt Alicia Keys ihre Haare streng geflochten, auf ihrem aktuellen Meisterwerk sind sie endlich befreit. Im Pop sind Musik, Message und Outfit eins – das sollte uns aber die Ohren nicht verschließen.

Text Frank Berzbach / Illustrationen Saskia Wragge

 

Alicia Keys habe ich, wie auch Beyoncé, erst spät wahrgenommen. Guter Pop von schönen Frauen. Aber letztes Jahr in Hamburg, im schönen Groove City-Plattenladen, der immer gut ist für eine Grundkurs in black music, hielt mir die Inhaberin dann so lange »Here« vor die Nase, bis ich endlich reinhörte. Man legt die Plattennadel auf, die Sängerin spricht ihr Intro: »I feel like history on the turntables, old school to new school, like nothing ever been realer, on the history of the turntables ...« Manchmal geht es ganz schnell, dieses Album musste ich haben. Und tatsächlich taucht die Sängerin tief ein in die Musikgeschichte, zwischen HipHop und Orchester-Soul, zwischen Spoken-Word, Nina Simone, Lauryn Hill und treibenden Beats, akustischer Gitarre und purer Energie. Auf den umhüllenden Klavierklang verzichtet sie allerdings. Die Plattendealerin sagte mir an der Kasse, über das Plakat im Album müsste ich dann mit meiner Frau streiten; nun hängt es exponiert in unserem kleinen Flur. (Ein zweites für mein Büro hätte ich allerdings auch gern! Sogar Lana del Rey würde ich dafür abhängen.) Es zeigt Alicia Keys in schwarz-weiß, in ihrem beeindruckenden Afro und einem hängenden Pfeil-Ohrring. Im Laufe des Jahres 2016, kurz vor der tragischen Wahl eines Hasspredigers zum Präsidenten der USA, erschienen Beyoncés Lemonade und Alicia Keys Here – beides politische Alben, die schon vorab die Atmosphäre des wieder erstarkenden Rassismus und grassierender Frauenverachtung wittern und die unüblich offen für radiotaugliche Musik dagegen Stellung nehmen, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise. Alicia Keys ist keineswegs nur »falling«, sondern sie bekennt sich zu selbstbewussten Werten, die, vereinfacht gesagt, alltagstaugliche Themen wie Patchwork-Familie oder die Freiheit vom Selbstinszenierungszwang einfühlsam und ermutigend feiern. In einer politischen Atmosphäre des Hasses verteilt Alicia Keys Selbstbewusstsein und Liebe, so könnte man es romantisch ausdrücken.

Nach so viel Hörgenuss begab ich mich auf die Recherche zu Alicia Keys. Magazinbeiträge und Interviews, Bildsuche und Instagram-Account, Fan-Pages und New York Times – und war darüber verärgert, dass man eine Künstlerin, die als Buchautorin, Komponistin, Interpretin, Philanthropin und sozial engagierte Frau arbeitet, zunehmend auf ein ziemlich banales Thema festlegt wird: auf ihre Entscheidung, sich nicht mehr zu schminken. Sie trat ungeschminkt auf und das ist dem Boulevard sofort einen Skandal wert, es wird von Feministinnen ausgeschlachtet und von anderen belächelt, es wird gefeiert und intellektualisiert. Schaut man sich die Fotos von Alicia Keys allerdings an, dann ist offensichtlich, dass Coolness und Attraktivität erstaunlich unabhängig von der Kosmetik bleiben können. Ein Instagram-Foto zeigt sie in Spiegelbrille, Adidas-Jacke, Base-Cap in einem alten Auto, ein unfassbar cooles Foto, eine schöne Frau! Und das keineswegs nur, weil sie ihr Gesicht verdeckt. Kein Mensch sollte weiter darüber nachdenken müssen, ob sie sich schminkt oder nicht. Selbst wem ihr Outfit nicht passt, kann die Augen schließen, es gibt genug für die Ohren.

 

Die Musik auf ihrem ersten Album Songs in A Minor (2001) klang für manche Ohren wie die orchestrale Soulvariante von Chopins Klavierkitsch, den uns eine New Yorker Intellektuelle vorträgt. Es ist gediegener, schicker Soul im Motown-Sound, mit dem Höhepunkt des pathetischen »Falling«, ein Song, der einen entweder das Radio ausschalten lässt oder eben Gänsehaut provoziert. Es sind Songs, in denen Form und Inhalt eng verbunden sind und es ist ein vom Gestus eher konservatives Album. Hier wird nicht die sexuelle Freiheit von Frauen besungen, die sich »bitchy« geben; dies ist und war nie Alicia Keys Welt. Oberflächliche Gesten, leere Provokationen oder zu viele freigelegte erogene Zonen sind nichts, womit sie beeindrucken will. Sie ist für musikalische one-night-stands ungeeignet. Alicia Keys hört man länger, tiefer oder eben gar nicht. Das läuft allerdings nicht auf Prüderie hinaus; als Alt-Right-Ikone bleibt sie ungeeignet: »Der Gedanke, dass wir Krieg als etwas Notwendiges und Sex als obszön bezeichnen, ist einfach nur krank.«, sagte sie in einem Interview.

Die langen 15 Jahre zwischen den Songs in A Minor und dem aktuellen Album Here erzählen viel über die Entwicklung einer Musikerin, aber auch über die Veränderungen ihres Heimatlandes. Während die Künstlerin immer reifer und reflektierter agiert, wurden die gesellschaftlichen Zustände immer rauer und die fast überwundenen Dämonen kehren zurück. Darauf könnte man mit Depressionen reagieren. Aber bevor sich zu viele in die schlimmen Zeiten der McCarthy-Ära wünschen, in die Zeiten von Apartheit oder gar nach oligarchischen Verhältnissen, erfindet sich Alicia Keys als Kämpferin neu. Es ist keine Verwandlung, die ihrem Charakter fremd wäre: auf Here spricht nicht der Hass, sondern der »liebender Kampf« einer Alicia Keys, die ihr Land nicht im Trumpismus aufgehen sehen will. Während viele Bands oder Musiker radikal und politisch starten, um dann in einem kontinuierlichen Verlauf immer seichter, angepasster und kommerzieller zu werden, entwickeln sich Alicia Keys und Beyoncé in die Gegenrichtung: sie reflektieren mit jedem Album mehr die Zeit, in der sie leben. Sie nutzen ihr Geld, um unabhängiger zu werden, legen sich mit den Autoritäten an und trotzen der neurechten Restauration. Mit einer großen Reife entsteht dabei hervorragende, unangestrengte, aber klar positionierte Musik. Sie wird nicht von jugendlicher Wut gesteuert, sondern von Lebenserfahrung. Es gibt viele Varianten, zu kämpfen. Wenn die Oligarchen ihres Landes einem funktionalen Analphabeten folgen, dann werden wohlgesetzte Worte um so wichtiger. Aus dem Mund der großen Sängerin klingen die so, als könnte das alte Medium der Schallplatte die Welt retten. Und das ist keine Untertreibung: »I'm Nina Simone in the park and Harlem in the dark (...) I'm the words scratched out on the record label / I'm the wind when the record spins / I'm the dramatic static before the song begins / I'm the erratic energy that gets in your skin / And if you don't let me in / I'm the shot in the air when the party ends.« Es ist Zeit, öfter ihre LPs aufzulegen. Wer Alicia Keys hört, der marschiert nicht mit im Gleichschritt zurück in finstere Zeiten.

 

Die Alben Alicia Keys:

         

   Alicia Keys - Here                                Alicia Keys - Songs in A Minor

 

Ein kundiger Plattenladen in Hamburg in Sachen Soul, Jazz, Hiphop, Funk, »black music«:

Groove City: http://www.groove-city.com/

 

Auf zwei Namen stößt man immer wieder bei Alicia Keys: Auf die große Nina Simone und auf Lauryn Hill (/Fugees).

                    

   Lauryn Hill - The Miseducation of Lauryn Hill                    Fugees - The Score                      Nina Simone - Sunday Morning Classics

 

Eine ganze Reihe Romane helfen zu verstehen, welche Veränderungen in den USA vor sich gehen und in welchem politischen Klima die letzten Alben von Beyoncé und Alicia Keys erschienen sind. Gerade für die Schwarzen, für Frauen und ärmere Bürger, Kunst, Kultur, die freie Presse und unabhängige Wissenschaft sind diese Veränderungen bedrohlich. Dazu gehören die Klassiker von Sinclair Lewis, zum einen »Babitt«, aber mehr noch »Das ist bei uns nicht möglich«. Im historischen Roman »Verschwörung gegen Amerika« (2004) schildert Philip Roth auf beängstigende Weise die Mechanismen medialer Propaganda, die auch von Trump genutzt werden. Auch die Friedenspreisträgerin Margaret Atwood hat sich in ihrem Roman »Der Report der Magd« dem Thema früh gewidmet.

 

Über die Tradition der schwarzen us-amerikanischen Musik lässt sich aus der Autobiographie von Miles Davis viel lernen; wie auch von Ben Sidrans Standardwerk »Black Talk. Schwarze Musik – die andere Kultur im weißen Amerika«, Wolke Verlag, Hofheim: 1993.

       

 

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