Jimi Hendrix

Jimi Hendrix: Die Urfarbe des Blues

Frank Berzbach

Wenn unveröffentlichte Aufnahmen erscheinen, dann ist das oft eine Enttäuschung. Es gibt viele Gründe, nicht alles auf Vinyl zu pressen; auch die Meister haben Ausschuss produziert. Manches ist an die jeweilige Zeit gebunden und heute bestenfalls für die Musikwissenschaft von Interesse. Im Fall der drei neuen Doppel-LPs von Jimi Hendrix, wie auch der neuen wiedergefundenen Aufnahmen von John Coltrane, ist das nicht so. Die Aufnahmen von Hendrix klingen frisch, enthalten eine ganze Reihe neuer Stücke und sie klingen brillant.

Schnell gewinnt man diese neuen LPs sogar lieber als die alten, sie sind nicht nur Fußnoten zum Hauptwerk. Davon waren viele Hörer überrascht, denn oft geht es bei diesen Veröffentlichungen nur um Geldmache. Aber gerade von Hendrix wird man immer wieder überrascht, er bleibt ein Solitär in der Zeit nach 1967 und wer sich auf sein Werk einlässt, der wird damit nie wieder fertig. Deshalb tauchen die ikonischen Bilder von ihm immer wieder auf, jede Generation entdeckt ihn für sich neu. Menschen lassen sich bis heute sein Portrait tätowieren, Maler interpretieren ihn immer wieder und die Anzahl der Best-of-Alben, Sampler und der Hommage-Alben ist nicht überschaubar. Alle paar Jahre erscheinen neuen Bücher über ihn. Warum ist gerade Hendrix zu einem Mythos geworden?

Das Jahr 1967 revolutioniert die Musikwelt 

1967 markiert eine Zäsur. Die Beatles veröffentlichen Stg. Peppers’s Lonely Hearts Club Band und Hendrix fragt Are you Experienced. Wenige Tage nach Erscheinen des Beatles-Albums coverte Hendrix das erste Stück auf einem kleinen Konzert in London; Paul McCartney und John Lennon stehen ergriffen im Publikum. McCartney erinnert das Ereignis als »die größte Ehre meiner Karriere«; die Beatles versuchten Hendrix zu fördern und ihm in den USA lukrative Auftrittsmöglichkeiten zu verschaffen. Nach dem Erscheinen dieser beiden Alben liegt kein Stein mehr auf dem anderen. Die Popmusik ist an die Popart angeschlossen, die Idee des Konzeptalbums ist erstmals vollendet – und Hendrix erfindet die E-Gitarre als neues Zentrum avancierter Rockmusik. Eigentlich beginnt mit ihm auch die Geschichte des Hardrock, Led Zeppelin und Black Sabbath können nun kommen. Diese Revolution lässt sich auch entlang einer technischen Innovation beschreiben. Wie für die französischen Impressionisten die neuen, nun in Tuben erhältlichen Ölfarben von entscheidendem Einfluss waren, so waren es für Hendrix die neuen Gitarrenverstärker von Jim Marshall in London. Die klangen ganz anders als die US-amerikanischen Geräte, lauter und schmutziger. Sie bildeten nicht nur den Klang exakt ab, sondern brachten zudem etwas unkontrollierbar kraftvolles in den Sound. Hendrix sah als erster die E-Gitarre in ihrem Umfeld, die übersteuerten Röhrenverstärker gehörten zum Instrument, die Störgeräusche und Rückkopplungen ließen sich nutzen. Er ging mit den unerwarteten Effekten, die aus den Maschinen kamen, schöpferisch um. Der kontrollierte Einsatz von unkontrollierbarem lässt sich vergleichen mit der anspruchsvollen Aquarellmalerei: die Verläufe des Wassers lassen sich nicht exakt vorausbestimmen. Man darf keinesfalls gegen das Wasser und seinen Fluss ankämpfen oder die Illusion haben, man könne es vollständig kontrollieren. Es bedarf einer »Philosophie des Wassers«, wie es der Schweizer Maler Hanspeter Fiechter nennt. Hendrix entwarf eine neue Philosophie des Pop; er praktizierte live eine Wahrheitssuche der technischen Entladungen, Übersteuerungen und Verzerrungen. 

In der Tradition des frühen Blues

Der Hörer wird bei Hendrix sofort mit dieser unergründlichen Dimension konfrontiert, es entsteht ein Urton, aber nicht irgendeiner: Seine Musik steht in der Tradition des frühen Blues. Miles Davis, der sich von Hendrix inspirieren ließ, spürte und hörte das sofort: »Schon seit der ersten Begegnung mit Jimi Hendrix wollte ich diesen Gitarrensound, der dich immer tiefer in den Blues zieht«, schreibt er in seiner Autobiographie. Hendrix selbst lehnte den Kategorisierungen ab: »Wenn wir jammen, dann kommen diese Dinge als eine andere Art von Musik heraus, für die wir noch gar keinen Namen haben.«, sagte er dem Rolling Stone-Magazin. Damit zeigt sich eine weitere Parallele zu Miles Davis: der vermied den Begriff Jazz, und wollte das alles einfach als Social Music hörbar machen. Die Verwurzelung von beiden im Blues erklärt auch die Archaik, die sich in ihrer Musik manifestiert. Die Einfachheit des frühen Blues, reiner Gesang oder maximal mit Akustikgitarre, einfache Akkorde, die unerreichte Tiefe brüchiger Stimmen, existentielle Gefühle und Geschichten – all das wurde durch Hendrix wieder neu in die Welt der End-60er gebracht. Hendrix schloss den Blues an den Strom an. Ihm gelang es, in einer elektrischen Welt die Seele des Blues in Bluesrock zu überführen. So koppelte er Tiefe mit Kraft. Daher wirken auch die nun zugänglichen Aufnahmen wie Zeremonien und Beschwörungen, als tiefer Klang der Maschinen, wie ein Kampf zwischen Kraftzentren und Richtkräften. Er überließ musikalisch die immer stärker elektrifizierte Welt nicht einer kalten Viruosität, sondern schuf ergreifende Klangwelten existenzieller Tiefe, die in einer spezifischen Tradition standen. Er romantisierte die Technik in dem er sich in unüblicher Weise dem technischen Umfeld seiner Gitarre hingab, deswegen Feuer auf der Bühne, sein verrücktes Aussehen und seine Band of Gipsys. Im Pop taucht damit plötzlich das Rohe des frühen Blues wieder auf, obwohl die Technik exakter daher kommt, als die ursprünglich analoge Welt. Ein Jahr später, 1968 gründen sich in Köln Can und 1970 in Düsseldorf Kraftwerk, die den Pop vom Blues lösen werden; Hendrix für das Gegenteil: er vollendet den Bluesrock, erfindet ihn zugleich neu. Das Kippen der technischen Klänge in Verzerrung und Rückkopplung, der Kurzschluss der elektrischen Ströme entperfektioniert die Musik und gibt ihr die Seele zurück. Es sind gar nicht unbedingt die technischen Innovationen, die durch Hendrix in die Popwelt kommen, es ist sein Atem, der den Maschinen eine Blues-Seele einhaucht. Das eine ist nur ein neuer Sound, das andere aber etwas Unerhörtes, eine Wiederkehr des frühen Blues mit den Mitteln der Gegenwart. Die vermeintliche Gitarrenrevolution überdeckt die existenzielle Dimension seiner Musik. 

Auf den neuen LPs lässt sich das erschließen, es geht Hendrix immer um mehr als um Fortschritt. Er war ein Virtuose, aber das ist nur ein Aspekt und aus heutiger Sicht vielleicht gar nicht der entscheidende. Hendrix repräsentiert eine Zeit, die späten 1960er und er erzeugt eine Zeitlosigkeit, die auf den drei neuen Doppelalben nicht zu überhören ist. Daher sind sie echte Neuerscheinungen, kein alter Aufguss, sie sind frisch – sie sind keine Reise zurück, aber zugleich eine Widerkehr. Neu sind die Klarheit der Aufnahmen und einige Stücke, alt und wieder zurück sind die Tiefe eines elektrifizierten Blues, der klingt, als komme er aus großer zeitlicher Ferne zu uns. Diese Gleichzeitigkeit macht alle drei Alben zu einem wirklichen Ereignis. 


Wer liest, hört mehr. Hendrix lesen:

Um das Jahr 1967, in dem auch das erste Album von Jimi Hendrix erschien, zu verstehen, ist Ernst Hofackers Buch 1967 – Als Pop unsere Welt für immer veränderte im Reclam Verlag zu empfehlen. 

Im Rowohlt Verlag erschienen ist Jimi Hendrix. Eine Biographie. von Rainer Höltschl und Klaus Theweleit.

Als Standardwerke gelten auch weiterhin Crosstown Traffic von Charles Shaar Murray und Jimi Hendrix, Electric Gypsy. von Harry Shapiro und Caesar Glebbeek. Aktuellere kurze Portraits zum Einstieg bieten Hannes Fricke mit Jimi Hendrix im Reclam Verlag (2017) und die Jimi Hendrix BasisBiographie im Suhrkamp Verlag von Peter Kemper (2009). 

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Neu zum 50. Jubiläum:

Kaum zu glauben: Ein Meilenstein wird 50! 1968 veröffentlichte Jimi Hendrix das legendäre Electric Ladyland. Passend zum Jubiläum erscheint nun die erweiterte 50th Anniversary Deluxe Edition, und zwar auf drei CDs plus Blu-ray bzw. sechs LPs plus Blu-ray. Die Geburtstags-Neuauflage ist ab dem 9. November erhältlich.

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