
Bruce Springsteen
Der Boss und die E Street Band
Ein Gespräch über Bruce Springsteen mit dem Pophistoriker Ole Löding.
Was ist am amerikanischen Alltag so spannend, dass man damit 60 Millionen Alben verkaufen kann?
Du findest das eine einfache Frage? (Lacht!) Ich glaube, dass der amerikanische Alltag von vielen Widersprüchen geprägt ist. Es gibt auf der einen Seite das große, weite amerikanische Land. Einen zentrumsfernen, eher langweiligen Alltag ohne viele kulturelle Angebote, ökonomisch oft schwach und vom Existenzkampf im weitesten Sinne geprägt – und gleichzeitig ist dieser Raum verbunden mit dem großen amerikanischen Traum nach Selbstverwirklichung, Ausbruch und Autonomie. Und dann gibt es die kulturell aufregenden, boomenden Metropolen wie New York, Los Angeles oder San Francisco als Sehnsuchtsorte. Innerhalb dieser Spannung kann man die zentralen Fragen der Kultur wunderbar abhandeln. Die Suche nach Erfüllung, Glück, nach Ausbruch, Liebe und zugleich die Fragen nach Heimatverbundenheit, Dableiben und Zugehörigkeit in einer multikulturellen Gesellschaft.
Und Springsteen bietet in seiner Musik, in seinen Texten diese Heimat?
Ja, er hat diese beiden Pole und die Spannung zwischen ihnen als lebenslange Leitmotive, neben, nun ja: Sex. Sex deshalb, weil er aus der Soul-Tradition, allen voran dem einzigartigen Bandleader James Brown, kommt. In deren Nachfolge sieht er sich und dort sind Sex, Liebe und Leidenschaft immer ein großes Thema. Die Songs, die ihn aber berühmt machen, thematisieren den Ausbruch und das Wegmüssen: Weg von der Familie, raus aus der Provinz, fort von Freunden und Ex-Freundinnen, von der Verwandtschaft. Diese Songs fragen aber auch: Wo ist meine Heimat? Wozu gehöre ich? Die großen Kernsongs handeln davon: Born to run, Thunder Road, Darkness on the Edge of Town, Independence Day als Ausbruchsträume einerseits, The River, My Hometown oder auch Wrecking Ball als Reflexionen über die Herkunft und die Heimat.
Springsteen reibt sich, wie Johnny Cash, lange am konflikthaften Verhältnis zu seinem Vater. Was er allerdings von ihm erbt ist ein Misstrauen gegenüber Intellektuellen. Letztes Jahr veröffentlichte Springsteen aber eine große Autobiographie? Das ist ein weiter Weg, die vererbte Ablehnung gegen die große literarische Form und nun dieses Buch. Wie kommt es dazu?
Dahinter steckt die These, dass eine Autobiographie intellektuell wäre.
Ja, findest du nicht? 600 Seiten Umfang, tiefe Reflektion ...
Es ist ein langer Weg, aber der spiegelt nicht unbedingt sein Verhältnis zum intellektuell sein. Es ist bei Springsteen eher der Abnabelungsprozess von zu Hause. Auch der ist in seinen Songs stark dokumentiert. Im Frühwerk, bis hin zu The River geht es um Loslösung. Um Ablehnung der proletarischen Herkunft, Ablehnung des Provinzlebens, Ablehnung von der Gefühlsferne seines Elternhauses, Ablehnung der Brüche, die in seiner Familie da waren. Dies in einer Mischung aus links-liberaler Haltung, zugleich maximal patriotisch, ein innerer Kampf zwischen Regeltreue und Sehnsucht nach Regelbruch. Die legendäre Liveaufnahme des Songs The River (auf der Livebox 1975-1985) erzählt diese Geschichte: Sein Vater brüllt ihn an, weil er lange Haare hat. Der wünscht sich, dass sie ihn zur Armee schicken und einen Mann aus ihm machen – dann aber, als Springsteen zur Musterung für den Vietnamkrieg eingezogen wird, ist dieser Vater froh, dass sie ihn wegen gesundheitlicher Mängel nicht nehmen. Diese Geschichte verdeutlicht exemplarisch die Brüche dieser Familie. Ab 1980 dann beginnt eine andere, weichere Reflexion des Elternhauses. Pflichten, Erwachsenwerden, Verständnis für den Vater nehmen mehr Raum ein. Dieser Weg kulminiert in der 2016 erschienen großen Autobiographie von Springsteen, in der er letztlich auch mit dem Vater Frieden schließt. Es ist ähnlich wie bei Cash, aber eine Generation später.
Nun zur Musik, wir haben bisher über Texte gesprochen. Springsteen ist seinen Musikern treu. Welchen Einfluss hat diese E Street-Band auf seine Musik?
Springsteen ist ohne die E Street Band nicht »der Boss«. Er hat diesen Namen aus dem Band-Umfeld erhalten, ihn lange auch abgelehnt, aber schließlich eingesehen, welchen Einfluss er und diese Musiker haben. Das hört man auch auf den Solo-Alben, die er ohne die Band aufnimmt. Die E Street Band ist eine der besten, vielleicht überhaupt die beste Live-Band, die es in der Rockgeschichte gegeben hat.
Vergleichbar mit Crazy Horse und Neil Young?
Ja, es ist sehr vergleichbar, mit dem Unterschied, dass die E Street-Band technisch besser ist. Sie ist als Band allein – ohne Springsteen – in die
Rock’n’Roll-Hall of Fame aufgenommen worden, das ist schon ein Zeichen. Ich glaube nur The Band mit der Bob Dylan lange gearbeitet hat, ist damit am Ende vergleichbar. Ihre Livepräsenz erzeugt das Fundament, auf dem Springsteen seine legendären, seinen Ruf begründenden drei bis vierstündigen Shows spielt. Für die den prägenden Alben hat der manische Perfektionist Springsteen unendlich lang und hart mit seinen Musikern im Studio gearbeitet. Die Band ist dort geworden, was sie ist. In einer witzigen Variante kann man das auf einem Album von Meat Loaf hören: Bat out of Hell ist eine Springsteen-Persiflage; und wie wird die erzeugt? Man lässt einfach den Pianisten der E Street Band Roy Bittan und den Drummer Max Weinberg mitspielen. Und dann ist nicht mehr zu überhören: das ganze Album klingt nach Springsteen bzw. seiner Band. Nur zwei Musiker prägen ein ganzes Album. Wenn die Mitglieder nun alle zusammen kommen und spielen, dann weiß man, womit man es zu tun hat. Heute hören wir eine über 40-jährige Männerfreundschaft, die sich auf der Bühne auslebt.
Ein Springsteen-Konzert ist für viele ein einschneidendes Erlebnis. In dieser Länge und Intensität haben wir kaum Konkurrenz. Springsteen lässt sich nie zu Maniriertheiten, Flucht in die Komplexität, zur Exzentrik hinreißen, sondern vertieft seine vordergründige »Einfachheit« des Rock immer mehr. Ist er damit vergleichbar mit AC/DC? Malcom Young fragte einmal: »Man kommt ja ohnehin wieder zum Ausgangspunkt zurück, also warum sollte man überhaupt erst woandershin aufbrechen?«
Ich würde widersprechen, Springsteens Musik ist komplex. Er ist ohne Frage einer der größten Live-Show-Regisseure. Der Aufbau eines solchen Konzertes ist in einer Sorgfalt zusammen gestellt, die unfassbar vielschichtig ist. Und in jedem Set gibt es mindestens zwei große, komplexe Meisterwerke. New York Serenade, Jungle Land und einige andere Songs – lange, ausufernde Songs mit vielen Umwegen. Von daher: Ja und Nein. Springsteen bleibt bei seinem Stil und macht zugleich auch anderes. Es bleibt immer Rockmusik, die sich nie verzettelt. Die Rolling Stones und AC/DC sind klassische Rockbands: Riff-orientiert, bedeutende Gitarristen, drei bis vier-Minuten-Songs, die auf den Punkt gebracht werden. Und vor allem: die Stücke werden verlässlich immer gleich präsentiert, man weiß, was man hat. Springsteen hingegen spielt in seinen besten Momenten jeden Song so, als höre man ihn zum ersten Mal. Es klingt enorm frisch, so als entdecke die Band plötzlich zum ersten Mal, wie großartig jeder einzelne Song ist. In dieser Schule von Springsteen gibt es gegenwärtig vor allem eine Band in seiner Nachfolge: Pearl Jam. Ich halte sie für eine der besten Livebands, die zur Zeit existieren.
Es gibt Außenseiter-Alben von Springsteen. Es gibt »Nebraska« oder »Wrecking Ball«, die noch nicht so stark wahrgenommen werden. Wie ordnest du diese LPs ein?
Ich würde diese Alben als kreative, höchst spannende, außergewöhnliche Ausbrüche aus dem Band-Korsett bezeichnen. Es sind im Regelfall Alben, bei denen Springsteen etwas ausprobiert, was er mit der Band nicht machen konnte – und dann wird es später mit der E Street Band weiter entwickelt. The Ghost of Tom Joad und Nebraska sind Akustikalben, spartanisch aufgenommen, Johnny Cash-Artig, auch Dylan spielt eine Rolle, die kreative Ausbrüche kennzeichnen. Später werden aus einzelnen Songs dann mit der Band zusammen Stadionhymne)n. Es ist der einsame Moment der Kreativität, in der Ideen entstehen. Die Musik geht einem sehr nah, sie ist ungefiltert, intim. Wrecking Ball ist für mich zudem eins der zentralen Album aus jüngerer Zeit. Für mich ist das ein Level mit den vier anderen Kern-Alben: Born to run, Darkness of the Edge of Town, The River und Born in the USA. Wrecking Ball schaut tief in die Gospel, Soul und Blues-Tradition und sucht nach Werten, die man in politisch fragilen Zeit gebrauchen kann.
Letzte Frage: Wie altert Springsteen? Da gibt es verschiedene Modelle. Die Rolling Stones kehren zurück und covern Blues-Songs, Black Sabbath nehmen, unerwartet, abschließend ein großartiges Rock-Album auf ...
Springsteens Weg ist die Selbstironie. Springsteen gilt als der Rockarbeiter schlechthin, wie soll der altern? Das ist nicht so einfach. Aber dann sieht man ihn live im Hyde Park, wie er schnaufend die Treppe zur Bühne erklimmt und brüllt: » Are you fucking nuts?! Someone get me a fucking elevator! I'm fucking 60!!«. Oder das berühmte, etablierte Finale, mit dem er seine Band am Ende eines Konzerts vorstellt, heute in dieser Variation: »Ladies & Gentlemen: You’ve just seen the heart-stopping, pants-dropping, hard-rocking, booty-shaking, love-making, earth-quaking, Viagra-taking, justifying, death-defying, legendary E Street Band.« Das ist großartiger Humor. Vergleichbar mit Johnny Cash nehmen die ersten Themen zu, Tod, Krankheit, Verlust – aber dieser Humor kommt hinzu und das ist eine würdige, großartige Variante zu Altern.
Über Bruce Springsteen:
Bruce Springsteen: Born to Run. Die Autobiografie. Heyne, München 2016.
Peter Ames Carlin: Bruce. Edel Books, Hamburg: 2014.
June Skinner Sawyers: Stärker als die anderen. Tougher than the Rest. Bruce Springsteen. Bosworth Music, Berlin: 2010.
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Das neue Album von Bruce Springsteen:
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